HAPPY BABY INTERNATIONAL e.V.
Frage 1: Wann wurdet ihr gegründet, was bietet ihr an?Es war im Sommer 2018, als der 14 Jahre alte Luca zu mir sagte: "Du bist doch Journalistin, schreib' drüber, sonst gibt es immer mehr wie mich!" Da war er just mit dem Fetalen Alkoholsyndrom (FAS) diagnostiziert worden. Seine Mutter hatte während der Schwangerschaft Alkohol getrunken. Die Quittung für Luca: schwere hirnorganische Schäden. Was so viele nicht wissen: Alkohol ist ein Nervengift und stört die Zellteilung. Und so kommt allein in Deutschland jede Stunde ein Baby mit fetalen Alkoholschäden auf die Welt. Wir müssen inzwischen von 1,6 Millionen Betroffenen sprechen. Auch das weiß kaum einer. Luca war die Initialzündung, die Kampagne Happy Baby No Alcohol ins Leben zu rufen. Wir wollen aufklären, dass das berühmte Gläschen zum Anstoßen eben nicht ungefährlich ist. Es muss nicht immer etwas passieren. Aber es kann. Es gibt keine wissenschaftlich erwiesene Menge Alkohol, die ungefährlich für das Ungeborene wäre. Um loszulegen waren schnell Mitaktivisten gefunden. Die Webseite www.happy-baby-no-alcohol.de. entstand. Sie ist die Basis unserer Aufklärungsarbeit. Hier wird zu allen FAS-relevanten Themen gebloggt, werden Experten interviewt, Geschichten über Betroffene und ihre Familien veröffentlicht, Hilfsangebote beschrieben und über unsere Engagements berichtet. Immer mehr Menschen schlossen sich der Kampagne an, die als Botschafter in ganz Deutschland verteilt Aufklärungsarbeit leisten. Inzwischen sind es weit über 300 von ihnen. Jenseits dieser Arbeit posten wir beständig auf Facebook und Instagram Wissen, neue Erkenntnisse, Erlebnisse rund um fetale Alkoholschäden und das Leben damit. Außerdem haben wir eine "private" Happy Baby-Facebook-Gruppe gegründet, in der erwachsene Betroffene sich miteinander austauschen und gegenseitig helfen können.Damit wir auch um Unterstützung in Form von Spendengeldern werben können, haben wir den gemeinnützigen Verein HAPPY BABY INTERNATIONAL e.V. gegründet. Spenden haben es uns möglich gemacht, eine Online-Beratung mit Experten aus nahezu allen FASD-relevanten Berufsgruppen - Psychiater, Hebamme, Gynäkologin, Kinderärztin, Fachberater, etc. - anbieten zu können. Bei uns kann jeder kostenlos eine erste Hilfe und Beratung bekommen. Frage 2: Was zeichnet euren Verein aus?Wir agieren nicht mit dem erhobenen Zeigefinger. Keine Mutter dieser Welt schädigt ihr Baby absichtlich. Niemand trägt Schuld. Schon gar nicht die werdende Mutter, die Alkohol getrunken hat, weil sie nicht wusste schwanger zu sein. Auch nicht die, die dachte, dass das ein oder andere Glas Sekt schon nicht schade, weil das über Generationen hinweg so vermittelt worden ist. Auch nicht die, die dem Arzt oder der Hebamme vertrauensvoll Glauben schenkten, dass das Glas Rotwein beruhige und Wehen fördernde Wirkung habe. Auch nicht die, die alkoholkrank ist und es nicht schafft aufzuhören.Bei uns ist jeder willkommen. Wirklich jeder! Ein besonderes Augenmerk legen wir dabei auf die von FASD betroffenen erwachsenen Menschen, damit auch sie eine Stimme bekommen. Zumal sie wegen ihres Andersseins so viel gesellschaftliche Ausgrenzung erfahren. Weil vor allem ihre sozial-emotionalen und kognitiven Beeinträchtigungen nicht verstanden werden. Ihre Mitwirkung bei der Aufklärungsarbeit und Sensibilisierung der Gesellschaft ist uns ein besonderes Anliegen. Wer könnte besser erklären, wie es ist, fetale Alkoholschäden zu haben, besser beschreiben, wie unterschiedlich die Auswirkungen sind? Schließlich gibt es 409 Symptome; jeder ist anders geschädigt und hat mit unterschiedlichsten Problemen im Leben zu kämpfen. Jeder entwickelt andere Wege und Strategien damit umzugehen. Die Schädigungen zu erklären und Lösungen aufzuzeigen, ist sowohl für andere Betroffene hilfreich, als auch für die Eltern von FASD-Kindern. Und, ganz wichtig, FASD-Betroffene sind authentisch, wenn sie beispielsweise Aufklärungsarbeit in Schulen und Kindergärten leisten. Es ist FASD zum „Anfassen“. Unsere Aktivisten erzählen immer wieder, dass das Wissen um FASD in den Köpfen der Kinder und Jugendlichen viel besser hängen bleibt, wenn sie ihre Fragen beantworten und ihre persönliche Geschichten erzählen.Wichtig ist für uns auch, dass wir das facettenreiche Spektrum von FASD möglichst von allen Seiten beleuchten und Möglichkeiten aufzeigen, wie den Betroffenen und ihren Angehörigen geholfen werden kann. Sehr wichtig dabei sind die vielen Geschichten, die wir erzählt bekommen und die wir aufgreifen und veröffentlichen. Immer wieder erreichen uns Rückmeldungen, dass man sich dadurch nicht mehr so schrecklich alleine fühle. Dass man Wege aufgezeigt bekomme, wie und welche Unterstützung man bei welchen Behörden und Ämtern abrufen kann. Frage 3: Welche Erfolge konnte der Verein in der Vergangenheit schon feiern? Worauf seid ihr besonders stolz?Wir sind mit unserem Anliegen, dass fetale Alkoholschäden unbedingt bundesweit als Behinderung anerkannt und in der Versorgungsmedizin-Verordnung gelistet werden, immerhin schon bis in den Bundestag vorgedrungen. Dort haben wir zusammen mit renommierten FASD-Experten vor dem Gesundheitausschuss mündlich und schriftlich vortragen dürfen, warum diese Forderung so elementar ist. Sie ist von so großer Bedeutung, weil im Gegensatz zu anderen anerkannten Behinderungen wie ADHS oder Depression, für FASD um die Anerkennung immer im Einzelfall gekämpft werden muss. Hat man Glück und gerät einen zugewandten Sachbearbeiter, bewilligt er die Behinderung. Wenn nicht, folgt ein kräftezehrender und zeitraubender Kampf um die Anerkennung. Oft genug landet der vor Gericht. Wir hoffen sehr, dass wir nun auf politischer Ebene genügend Mitstreiter finden, die Forderung auch umsetzen zu können.Unser Kampagnen-Logo mitsamt unserer Web-Adresse wird alsbald auf zehntausenden von alkoholhaltigen Mix-Getränken als Warnung zu sehen sein, in der Schwangerschaft keinen Alkohol zu trinken. Laut dem Dresdner Unternehmen Hellinger 42 soll das erst der Anfang sein, auf die Kampagne und damit auf die Gefahr von Alkoholkonsum in der Schwangerschaft aufmerksam zu machen. Man ist man einer langanhaltenden Kooperation interessiert, wodurch die Whiskey-Manufaktur in Deutschland eine Vorreiter-Rolle einnimmt. Anders als in fast allen anderen Ländern in der Europäischen Gemeinschaft, wo es Pflicht ist, auf alkoholischen Getränken auf die Gefahr für Schwangere hinzuweisen, findet sich dafür in Deutschland keine politische Mehrheit. Hellinger 42 macht das freiwillig, ist sich seiner Verantwortung bewusst, Schwangere warnen zu müssen.Ach, und wir sind auch stolz darauf, dass unser Logo so gut ankommt. Es sei einladend und stylisch, obwohl es ein so schweres Thema ist. Alle Botschafter:innen ziehen es supergerne an und erzählen immer wieder, dass sie stets angesprochen werden, wenn sie es tragen. Es ist ein Eyecatcher, der positiv Neugier weckt und nonverbal zum Nachdenken anregt, nicht erschreckend oder aufdringlich.Frage 4: Eure Pläne für die Zukunft? Was wünscht ihr euch?Nur 40 Prozent der Deutschen wissen um das Fetale Alkoholsyndrom. Das betrifft nicht nur die allgemeine Bevölkerung, sondern auch Psychiater, Hebammen, Ärzte, Therapeuten, Sozialarbeiter, Lehrer, Erzieher, Schulbegleiter. Die Diagnostik der Betroffenen in FASD-Fachzentren ist das eine. Aber wie geht es weiter mit der Behandlung und Unterstützung? In den meisten Bundesländern gibt es nur vereinzelt FASD-fachlich qualifizierte Menschen der benannten Berufssparten. Häufig wissen sie nicht einmal voneinander. In manchen Bundesländern ist die Situation besonderen schlimm. Das wollen wir ändern, sind permanent am Netzwerken und Adressen sammeln, werben für Fortbildung für alle, die in den FASD-relevanten Berufen arbeiten. Wir arbeiten daran, dass wir vor allem im (sozial-)pädagogischen Bereich eben diese Weiterbildung anbieten können.Wir wünschen uns so sehr, dass wir es schaffen, dass die unterschätzte Gefahr von Alkohol in der Schwangerschaft zum Thema in unserer Gesellschaft wird. Dass unsere Aufklärungsarbeit dazu beiträgt zu verhindern, dass Kinder mit fetalen Alkoholschäden auf die Welt kommen. Dass die Menschen endlich verstehen, was vor allem die unsichtbaren Handicaps bedeuten und wie damit umgegangen werden muss, damit auch FASD-Betroffene und ihre Familien ein glückliches Leben in der Mitte unserer Gesellschaft leben können. Wir wünschen uns, dass bundesweit alle Menschen in den FASD-relevanten Berufssparten fortgebildet und dass ausreichend Beratungsstellen eingerichtet werden. Um es noch einmal klar zu sagen: FASD ist kein Randphänomen unserer Gesellschaft. Die Dunkelziffer liegt bei weit über 1,6 Millionen Betroffenen....
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