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Zehn Jahre Ritournelle-Festival: Gründer Tobias Staab im Interview zum Jubiläum im Blitz Club (Verlosung beendet!)

Was als musikalische Versuchsanordnung in den Münchner Kammerspielen begann, wandert zum zehnjährigen Jubiläum rüber in den Blitz Club. Weniger Experimente soll das aber nicht bedeuten: Wir sprachen mit Ritournelle-Gründer Tobias Staab zum Jubiläum seines elektronischen Musikfestivals für „avancierte Popmusik“.
Ein Gespräch über ausgebaute Theater-Sitze, unberechenbare Main-Acts und die neue afrikanische Szene!

Mucbook: Hi Tobias, ihr feiert zehn Jahre Ritournelle – ein klingender Name in der elektronischen Musikszene Münchens. Erzähl mal, wie wurde die Idee damals geboren?

Tobias Staab: Es startete ganz eigenartig. Ursprünglich wurde ich 2012 von Ex-Kammerspiele-Intendant Johan Simons angefragt, Musik für Premierenparties zu kuratieren. Dazu habe ich mir eine Art Prototyp von Ritournelle ausgedacht, und in das Konzept noch ein weiteres mit rein geschmuggelt.

Ich habe ihm etwas von einem Festival für alternative elektronische Musik geschrieben – von Musik, die in Clubs nicht so wirklich einen Platz findet, sondern eigentlich eher einen hochkulturellen Rahmen bräuchte. Musik, die durchaus förderungswürdig ist, weil es zu kleine Acts sind – zu schräg, um sich auf dem normalen Markt zu behaupten. Oder alternativ besondere Projekte, die zu groß und daher nicht passend für die normalen Clubs der Stadt sind.

Aus den Premierenparties wurde nichts, das habe ich zurückgezogen. Aber irgendwie fanden sie bei den Kammerspielen die Idee des Musikfestivals auch gut. Ich wurde dazu eingeladen, zum 100. Jubiläum der Kammerspiele dann tatsächlich ein Musikfestival in den heiligen Hallen dort zu machen. Es wurden dazu extra die Sitze ausgebaut, was damals ein echtes Ding war, ein Sakrileg quasi.

Wie habt ihr die Premiere erlebt?

Es spielten unter anderem Gold Panda, James Holden und DJ Koze – und einige andere Acts, die damals als Leftfield galten. Es war damals musikalisch noch nicht so radikal wie in den Jahren später. Man wusste ja gar nicht, ob da überhaupt jemand kommt und sich dafür interessiert.

Es wurde aber ein Erfolg?

Sowohl die Kammerspiele als auch ich waren erstmal glücklich, dass die Leute den denkmalgeschützten Raum überhaupt haben stehen lassen. Wir hatten alle Angst, dass die Kammerspiele danach ein Haufen Staub sind.

Aber tatsächlich hatten die Leute immer großen Respekt vor diesem wirklich schönen Jugendstilbau.

Die Idee stammte von dir, aber wer war noch mit dabei?

Von Anfang habe ich mit Branimir Peco (Mitbetreiber des Blitz Clubs und DJ als „Brane“ – Anm. der Red.), den ich schon von der Registratur kannte, und mit Eric Schönemeier (u.a. Monticule Festival) zusammengearbeitet. In unterschiedlichen Konstellationen habe ich Ritournelle dann immer wieder weiter gemacht. Aber die waren immer wieder auf unterschiedliche Weise mit dabei.

Wie hast du die Entwicklung des Festivals erlebt?

Am Anfang ging es eher darum, ein Festival zu machen, das elektronische Musik jenseits des Mainstreams darstellt. Von dort aus haben haben sich immer mehr Fragestellungen und Layer aufgetan: Zum Beispiel die Verbindung von elektronischer Musik und digitaler Kunst.

Oder das Verhältnis von Queerness und Club-Culture. Wir haben uns dafür interessiert, welche experimentellen Ansätze von elektronischer Musik außerhalb Europas stattfindet? In Afrika oder Asien etwa – Was gibt es da für Undergrounds und Subkulturen?

Gibt es einen Sound für den Ritournelle steht?

Ich glaube, das Gute an Ritournelle ist, dass es eben keinen Sound im klassischen Sinne hat, sondern eher für eine gewisse Haltung steht, die das Experimentelle in den Vordergrund rückt. Das bedeutet die Suche nach neuen Sounds, nach neuen Ästhetiken, nach neuen Formen der Performance und der Darstellung.

Das war immer ein bisschen das Konzept bei Ritournelle: einerseits Dinge zu buchen, die in München normalerweise wenig Menschen erreichen würden. Aber durch eine Misch-Gestaltung mit größeren Acts wurde das ganze darstellbar und es hat Leute angezogen, die die anderen Sachen sonst nicht gesehen hätten.

Wie wurde dieses experimentelle Konzept vom Münchner Publikum angenommen?

Ganz unterschiedlich. Es gab ganz viele Überraschungen. Auftritte, von denen die Leute begeistert waren von Dingen, bei denen ich mir vorher dachte: Hoffentlich kommen wir damit durch!

Roly Porter zum Beispiel – ein Ambient-Drone-Noise-Act mit wirklich gewaltigen, aber sehr abstrakten Soundwelten. Der hat einfach eine wunderbare audiovisuelle Gesamtperformance hingelegt – da waren alle total geflasht.

Das hat aber nicht immer geklappt. In einem Jahr hatte ich mal Actress und Andy Stott hintereinander. Da habe ich gemerkt: Oh, das war ein bisschen viel für alle. Actress liebe ich, der macht aber immer etwas anderes, als man sich erwartet oder vielleicht wünscht. Ich hatte ihm extra den Peaktime Slot gegeben und dachte, damit würde ich ihm die Möglichkeit geben, eher ein Club-Set zu spielen, aber er hatte dann wirklich gar keine Beats drin. Sondern es war eine Art schwelende Fläche mit einzelnen Basslines, aber ohne wirkliche Beats. Das hat die Leute um zwei Uhr dann schon strapaziert. Die wollten alle schon tanzen. Ein anderes Mal hatte er den Slot um neun Uhr abends und er fing straight an, Techno zu spielen. Der ist sehr unberechenbar.

Über die zehn Jahre hat sich aber eine große Offenheit diesem diversen Programm gegenüber eingestellt. Die Leute waren meistens sehr begeisterungsfähig und dankbar.

Später habt ihr das Konzept nach Nordrhein Westfalen exportiert. Wie kam es dazu?

Ich habe damals für die Ruhrtriennale Musik und Installationen kuratiert – das ist ein internationales Festival für Musiktheater, Tanz, Performance, Musik und Bildende Kunst im Ruhrgebiet.

Ich wurde dazu eingeladen, Ritournelle drei Jahre lang als Eröffnung der Ruhrtriennale in der Bochumer Jahrhunderthalle umsetzen. Die Dimensionen waren ganz andere: Dort hatten über 4.000 Leute Platz – im Vergleich zu den etwa 700 in den Kammerspielen. Somit mussten wir viel größer auffahren, was über Acts wie Caribou, Moderat oder Nicolas Jaar geklappt hat. Besonders stolz bin ich, dass wir Oneohtrix Point Never und Arca hatten.

Für die kommende Ausgabe wechselt ihr von den Kammerspielen in den Blitz Club. Wie kam es dazu?

Theater ist immer an Intendanzen geknüpft. Ich habe angefangen, als Johan Simons Intendant in den Kammerspielen war. Später wurde ich von seinem Nachfolger Matthias Lilienthal eingeladen, das Festival weiter zu machen, was eh schon ziemlich verrückt war. Normalerweise wollen Intendanten sich von ihren Vorgänger*innen immer abgrenzen und alles anders machen, das Rad neu erfinden. Aber Matthias Lilienthal war ziemlich cool und meinte, er hätte das Format gerne weiterhin.

Dann war der fünfjährige Zyklus von Lilienthal zu Ende und die neue Leitung der Münchner Kammerspiele trat nie mit mir in Kontakt. Dementsprechend war das dann wirklich zu Ende. Stattdessen fragte Brane mich, ob wir das nicht mal für das Blitz denken wollen.

Bevor ich einige Jahre Resident im Blitz Club war, hatte ich das DJing schon aufgeben wollen. Aber dann eröffnete der Club 2016 mit so einer monströsen Anlage, dass ich dort unbedingt weiter spielen wollte. Das Blitz ist ein wunderbarer Club und hat ein diverses und queeres Publikum. Es ist definitv der richtige Raum, um Ritournelle nochmal aufleben zu lassen.

Auch wegen der Pandemie gab es eine Pause letztes Jahr. Was dürfen wir jetzt erwarten?

Ich habe unglaublich viel von zwei Labels angehört, wenn es um Clubmusik ging: Nyege Nyege und Hakuna Kulala aus Uganda. Die haben Clubsounds für mich nochmal auf eine neue Art interessant gemacht.

Es gibt eine große Underground-Szene auf dem afrikanischen Kontinent, die sich um das Nyege Nyege Festival in Uganda zentriert. Die haben unglaublich viele, extrem innovative Acts. Darauf haben wir dieses Jahr einen Fokus darauf gelegt. In diesem Zusammenhang kommen einige Künstler*innen nach München, die einfach eine ganz andere Soundkultur im Rücken haben.

Führ uns doch mal weiter ins Programm…

Fangen wir mit dem Nyege Nyege Fokus an: Da gibt es den 19-jährigen DJ Travella, der mit seinen YouTube Videos bekannt wurde. Er arbeitet mit seinem virtuellen Mix Desk und man sieht am Mauszeiger, wie er einzelne Sounds hochfährt. Das ist ein Sound, der aus Tansania kommt und Singeli heißt. Der liegt bei etwa 200 Beats pro Minute – also unglaublich schnell – aber es ist so interessant und anders und groovy.

MC Yallah und Debmaster kommen. MC Yallah ist eine experimentelle HipHop-Künstlerin und liefert unglaubliche Konzerte ab. De Schuurman verknüpft afrikanische Clubsounds wie Gqom mit europäischen Technosounds. Slickback wiederum ist großartig durch seine sehr eigene abstrakte Clubmusik zwischen einer Art Mutanten-Footwork und polyrhythmischem Noise.

Aber wir haben natürlich auch Leute, die eher einen europäischen abstrakten Clubsound verkörpern. Zebra Katz ist beispielsweise jemand, den ich schon beim letzten Ritournelle in den Kammerspielen hatte.

Ich kenne keinen, der so performt und der sein Publikum besser im Griff hat.

Den würde ich immer wieder buchen und er hat so ein tolles Album während der Pandemie rausgebracht.

Amnesia Scanner sind zwei Finnen vom PAN Label, die alle Pop-Arten der letzten vierzig Jahre auf einmal in ihre Songs packen. Von Daft Punk bis Laurie Anderson, von Aphex Twin bis Kate Bush ist da alles drin, aber komprimiert zu einem völlig wahnwitzigen Post-Internet Sound. Das ist einfach ein echtes Erlebnis. Ich habe sie ein paar mal live gesehen und das waren immer auflösende Ereignisse.

Was habt ihr für alle Tanzwütigen im Gepäck?

Hinten Raus haben wir Freitag und Samstag ein veritables, aber auch intelligentes Club-Programm. Am Freitag sind Efdemin und Shed am Start, die für mich musikalisch immer schon die gute Seite des Berghain verkörpern. Efdemin ist einfach ein fantastischer DJ. Der spielt zwar relativ gerade, aber jeder Sound ist so fein selektiert und elegant. Man merkt, dass er auch Komponist ist und viel von der klassischen Musiktradition beeinflusst ist. Shed ist eh immer großartig – so klug und doch immer rough.

Am Samstag haben wir mit Mad Miran und Nene H Clubkünstlerinnen, die eine neue Art von Techno machen. Mad Miran ist abstrakt und gebrochen, Nene H ist kompromisslos, queer und auf eine gute Art Underground.

Los geht’s am Donnerstag aber mit einem Konzertabend?

Für den Donnerstag haben wir Carl Gari & Abdullah Miniawy dazu eingeladen, einen Konzert-Abend zu kuratieren. Vor allem Jonas Yamer hat das in die Hand genommen. Carl Gari ist einfach die tollste Münchner Band seit einigen Jahren – sie machen so einen interessanten und klugen Sound und sind alle sehr gute Musiker. Niemand klingt wie sie. Deshalb wollten wir Ihnen einen besonderen Slot geben.

Sie haben dann noch Hiro Kone und Bendik Giske eingeladen. Letzterer ist ein Saxophonist aus Berlin. Saxophon war immer ein eher schwieriges Instrument für mich, aber Bendik hat das wirklich auf ein neues Level gehoben, mit den hypnotischen Patterns, die er bis in alle Ewigkeit spielt – das ist eine ganz eigene Form der Kunstmusik. Den Act würde ich jedem ans Herz legen. Zu Bendik Giske würde ich meine Eltern genauso einladen wie alle meine Nerdfreundinnen und -freunde.

Wir freuen uns!

Yeah!

…Damit ihr eure Ohren schon mal auf Betriebstemperatur bringen könnt, hat uns Tobias Staab eine formidable Festival-Playlist da gelassen. Einfach hier den Spotify-Kasten via Klick aktivieren und reinhören:

Klicken Sie auf den unteren Button, um den Inhalt von open.spotify.com zu laden.

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(oder hier als direkter Link!)

Gewinnspiel: 1×2 Tickets je Festivaltag zu gewinnen

Wir verlosen zwei Tickets je Festivaltag. Schreibt uns einfach in die Kommentare unter diesen Beitrag, auf wen ihr euch besonders freut und an welchem Tag ihr am liebsten mit dabei sein wollt. Und mit etwas Glück spielt die Gewinnmelodie für euch! Wir losen am Mittwoch, 19. Oktober, aus – checkt dann unbedingt eure Postfächer.


In aller Kürze:

Was? Ritournelle Festival – 10 years anniversary weekender (3-Tages Ticket ab 40 EUR, Tagesticket 15 bzw. 25 EUR)

Wann? 20.10.-22.10. – Doors 20.00Uhr | Start: 21.00Uhr

Wo? Blitz Music Club, Museumsinsel 1, 80538 München

FULL LINEUP:

Amnesia Scanner LIVE [pan]
Aya LIVE [hyperdub]
Bendik Giske LIVE
Carl Gari & Abdullah Miniawy LIVE
De Schuurman [nyege nyege tapes]
DJ Travella [nyege nyege tapes]
DJ Köfte
Efdemin [ostgut ton]
HHY & The Kampala Unit LIVE [nyege nyege tapes]
Hiro Kone LIVE
mad miran
Malka Tuti Showcase feat Fantastic Twins LIVE, Katzele, Khidja
MARRØN
MC Yallah & Debmaster LIVE [hakuna kulala]
Nene H [incienso]
Shed [ostgut ton]
Slikback LIVE [hakuna kulala]
Zebra Katz LIVE [zfk records]
Special sound installation: AMP WALL MONUMENT CONFRONTATION


Beitragsbild: © Simon Vorhammer

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